Frauen für den Frieden

Text: Julia Baron // Video: Fabian Benecke // Multimedia-Editorial: Katharina Vorndran

Und ist noch nicht erschienen was wir sein werden...
Gedichtanfang von
"Ein Gebet nach dem ersten Johannesbrief 3 Vers 2" von Dorothee Sölle

Es ist Mai 1989, als Sonja Blank diese Zeilen in Erinnerung an ihre Zeit in der Gruppe „Frauen für den Frieden“ zitiert. Zeilen, die immer eindringlicher werden, je mehr sich die Treibkraft der Gruppe offenbart. Zeilen, die von Gleichheit, Solidarität und Frieden durchdrungen sind. Für das Lila Band, einer Textsammlung aus dem Selbstverlag ostdeutscher Frauen, verfasst die Diplomingenieurin und Mitbegründerin des Frauenzentrums Magdeburg einen Text, der die Geschichte der Frauengruppe schildert und ein emotionales Bild zeichnet, von der starken Rolle der Frauengemeinschaft, von kleinen Erfolgen und großen Zielen, aber auch von Niederlagen und Zerwürfnissen. Sonja Blank war eine von vielen Frauen, die sich bis 1989 engagierten. In ihrer Erinnerung, schreibt sie, müsse sie bei dem Gebetsvers immer wieder an die Gruppe denken.

Die Initiative organisierte sich im Oktober 1982 in Ost-Berlin, als Teil der unabhängigen, nichtstaatlichen Friedensbewegung der DDR. Bereits ein Jahr später schlossen sich die Magdeburgerinnen der „Ökumenischen Gruppe Frauen für den Frieden“ an. Die Entscheidung, sich in einer festen Einheit zusammenzufinden, fußte auf der zunehmenden Beunruhigung über den angedrohten Wehrdienst für Frauen. Im März 1982 hatte die Volkskammer ein neues Wehrdienstgesetz verabschiedet, das im Falle eines Verteidigungszustandes auch den aktiven Kriegsdienst von Frauen vorsah. Hinzu kam die wachsende Angst vor einem Atomkrieg, die mit der bevorstehenden Stationierung der SS-20-Raketen auf DDR-Gebiet zusätzlich befeuert wurde. Diese Sorgen brachten nun Frauen zusammen, die sich aus eigener Kraft sicht- und hörbar machten.

Wegbereiterinnen waren wesentlich in der Berliner Gruppierung zu finden. Namen, wie Bärbel Bohley und Ulrike Poppe tauchten in unterschiedlichsten Quellen und Gesprächen mit Zeitzeuginnen immer wieder auf. Beide Frauen waren an einer Eingabe von 1982 beteiligt, die direkt an den Staatschef Erich Honecker gerichtet wurde. Mit diesem Gesuch und dem damit zu dieser Zeit einzig legalen Mittel, gaben die Frauen mit rund 150 Unterschriften eine Erklärung ab, die deutlich machen sollte, dass ein Armeedienst für Frauen keine Form von Gleichberechtigung sei. Vielmehr stünde dies sogar dem Wunsch nach Entmilitarisierung entgegen. Im gleichen Zuge forderten sie, die Möglichkeit einer Kriegsdienstverweigerung gesetzlich zu verankern. In der Folge kam es zu vermehrten Vernehmungen sowie, auch im Falle von Bohley und Poppe, zu Verhaftungen in Halle und Berlin. Beide Frauen wurden nach zwei Monaten infolge von internationalen und nationalen Protesten im Januar 1984 wieder freigelassen.

Wie in anderen ostdeutschen Städten waren auch Frauen in Magdeburg bewegt von der politischen Entwicklung in der DDR. Im Kern aus Mitarbeiterinnen der Kirche bestehend, traf sich monatlich eine Gruppe von Frauen im Alter von 18 bis 64 Jahren. Die Themen, die sie bewegten, waren so vielfältig wie die Frauen selbst. Neben der Auseinandersetzung mit Entmilitarisierung beschäftigten sie sich auch mit Friedenserziehung, Gleichstellung sowie Geschichte und Literatur.

Eine politische Brisanz wird der Gruppe, seitens der Staatssicherheit, jedoch nicht zugeschrieben. In einem Abschlussbericht hieß es, sie „sei nicht relevant genug, um systemstürzende Auswirkungen herbeizuführen“. Anzunehmen ist jedoch, dass es für diese Feststellung eine Untersuchung und damit auch eine potenzielle Gefahr für den Staat geben musste. Diesem Umstand waren sich die Frauen durchaus bewusst, gehindert hat er sie dennoch nicht.

Editha Beier, aktives Mitglied der Friedensgruppe, über die Staatssicherheit im Umkreis der Frauen für den Frieden:

Was hier an Brisanz verkannt wurde, lag vielleicht an der Vorstellung, wie politischer Aktivismus auszusehen hatte. Zwischen Friedensgebeten, Kundgebungen und Gesprächsrunden hat sich die Grenze zur Radikalität wohl in relativer Ferne bewegt, was aber entstanden ist, ist ein fortwährendes Netzwerk von Frauen. Beweggründe mögen sich voneinander unterschieden, persönliche Ereignisse das Erleben der DDR konträr gestaltet haben, die Basis von Zusammenhalt aber blieb. Gemeinsam haben sie sich organisiert, den Staat kritisch hinterfragt und Forderungen der Veränderung gestellt. Damit haben auch die Frauen für den Frieden in Magdeburg die Friedliche Revolution vorangebracht.

In der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts erzählen drei Frauen, die die Bewegung mitbestimmt haben, von ihrem Engagement.

Der Beweggrund für die Gründung der Frauen für den Frieden in Ostdeutschland wird mit dem veränderten Wehrdienstgesetz beschrieben – hinzu kam noch das Aufrüsten und die Angst davor, den Kalten Krieg in Deutschland aufleben zu sehen – sehen Sie das auch so?

Karin Bischoff: Ich bin erst 83 dazugekommen und da war auch diese Motivation mit dem Wehrdienstgesetz. Es wurden auch schon Frauen zum Gespräch eingeladen und das hat uns erstens Angst gemacht und zweitens auch erbittert.

Waltraut Zachhuber: Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir an Erich Honecker geschrieben, „Auf uns kann er nicht zählen“. Wir waren damals noch jünger. (lacht) Aber dennoch waren wir der Meinung, dass man das deutlich machen muss, dass es hier ein ‚Stopp‘ zu sagen gilt. Zumal ja die ganze Atomrüstungskonkurrenz in Deutschland lag.

Gabriele Herbst: Also bei mir war das noch ganz anders. Wir waren ja immer politisch engagiert. Das ging schon los in den 70er Jahren. Wir haben speziell in unserer Gruppe kritisiert, dieses neue Bildungsgesetz für die Kindergärten in der DDR, in dem die vormilitärische Ausbildung auch schon reingenommen wurde. Darüber haben wir richtig geforscht, haben uns beschwert bei Frau Honecker. Für mich war das nicht nur ein Punkt, man war ja immerzu motiviert, sich einfach mal zu wehren. Ich hatte einfach das Gefühl, dass wir uns als Frauen jetzt mal wehren müssen, in unterschiedlicher Weise.

Bischoff: Ja, und auch als Frauen einfach aussprechen wollen, was uns bewegt. Dass wir auch ganz deutlich sagen, in welche Richtung es geht und was wir wollen. Für mich warauch wichtig darüber nachzudenken, welche Welt wollen wir eigentlich unseren Kindern hinterlassen. Das machte uns doch ganz große Sorgen.

Herbst: Also ich war immer oder wir waren immer für sowas wie einen demokratischen Sozialismus, das hat auch was mit dem Christentum zu tun. Wir haben aber gesagt, so wie das jetzt hier läuft, wollen wir das einfach nicht mehr. Dass man immerzu in irgendwelche Sackgassen lief. Wenn die Kinder nicht in die FDJ gingen, dann wieder gesagt bekamen – und das schon in meiner Generation – nein sie dürfen nicht auf die Oberschule. Dass ich nicht zu meinen Eltern reisen durfte, die im Westen lebten, weil das den Leuten einfach nicht passte und sie einfach keine Begründung gaben. Wir hatten so viele Gründe.

 

Spielte auch ein christlicher Gedanke für die Bewegung eine Rolle? Wie würden Sie sich positionieren?

Herbst: Ich finde diese ganzen Debatten, dass immer gesagt wird, ‚Christen dürfen nicht politisch sein‘, sowas von absurd. Ich bin als religiöser Mensch, Christin, mit allen Fragen. Aber das heißt, ich bin doch auch eine Bürgerin. Und wenn ich politische Entscheidungen fälle, fälle ich die auch als Christin. Und wenn ich einfach denke, Jesus hätte gesagt, das ist einfach ungerecht und unsozial, dann sag ich das auch.

Bischoff: Wir haben es auch immer als Ökumenische Gruppe – evangelisch, katholisch und gar nicht kirchlich – verstanden. Auch die, die gar nicht in der Kirche waren, haben das mit unterstützt.

Herbst: Ganz sicher! Wir haben nicht ausgegrenzt, überhaupt nicht. In der DDR haben wir uns weniger ausgegrenzt, als heute ausgegrenzt wird. Oder?

Zachhuber: Kann man wohl sagen. (lacht) Das ist ganz wichtig! Wir haben gesagt, wir sind relativ wenige und wir sind eigentlich alle in der gleichen Situation, dass wir mit dem was wir wollen oder denken, nicht gern gesehen sind und da einfach zusammenhalten müssen.

Es gab innerhalb der Gruppe auch eine Frau, die bei der Staatsicherheit war. Wie haben Sie davon erfahren? Wie sind Sie damit umgegangen?

Herbst: Wir wussten immer, dass da Staatssicherheit ist.

Zachhuber: Überall wusste jeder, es kann immer jemand dazwischen sein. Aber wir haben eigentlich nicht geforscht und gefragt, wer es bei uns ist. Weil das das ganze Vertrauen zerstört hätte. Sondern wir haben gesagt, wir müssen so reden, dass wir das jederzeit eigentlich öffentlich reden könnten. Ohne, dass wir uns in Angst und Schrecken bringen.

Herbst: Das hat man natürlich immer gewusst, es lastete auf uns. Heute kann man da lachen. Wir haben unsere Meinung gesagt. Ich habe immer abgewogen was ich sage, sodass ich noch nicht in den Knast komme.

Zachhuber: Man muss aber sagen, dass wir in der Kirche einen gewissen Schutz hatten, den Leute, die nicht bei der Kirche waren, nicht hatten. Sie erinnern sich bestimmt, dass in der damaligen Zeit die Aktion „Schwerter zu Flugscharen“ war, bei der Jugendliche dazu gezwungen wurden, das Symbol von ihrer Kleidung oder ihren Taschen zu entfernen und viele von der Polizei festgenommen worden sind. Mein Kollege Quast (Giselher Quast, 1979 bis 2016 Domprediger) am Dom, der hatte das natürlich auch – ich hatte es auch – aber er wurde von einem Polizisten festgehalten und als er sagte, „Ich bin Pfarrer, lassen Sie mich mal los. Ich lass das dran“, da haben sie sofort die Finger von ihm gelassen und er musste es nicht entfernen. Mein Sohn, dem wurde es sofort verboten, als er zur Schule ging.

Herbst: Ich fand es war alles relativ anstrengend.Aber trotzdem – wir wären NIE auf die Idee gekommen, in den Westen zu gehen. Nie! Und meine Eltern, die lebten ja drüben, die wären froh gewesen, wenn wir weggegangen wären. Wir haben von einer gerechten und von einer offenen Gesellschaft, geträumt. Auch von einer Gesellschaft, in der es diese großen sozialen Unterschiede nicht gibt. Und da habe ich gedacht, da können wir aufräumen.

Haben Sie im Nachhinein auch das Gefühl, dass Sie etwas bewegt haben?

Herbst: Natürlich haben wir viel bewegt. Wir waren ein Teilchen in dem großen Vorbereitungsprozess der Friedlichen Revolution, das finde ich, ist doch ganz deutlich.

Zachhuber: Erst mal haben wir uns selbst bewegt, natürlich. Wir haben selbst erst mal versucht uns klarzuwerden, in welche Richtung wir denken und leben wollen. Über viele Jahre gab es jede Woche die Friedensgebete am Barlachmal im Dom einmal im Jahr den den Friedenssonntag mit vielen Ständen von Friedensgruppen im Kreuzgang – auch die Frauen für den Frieden hatten einen Stand. Jeder konnte kommen und da haben wir von unserer Gruppe erzählt, was uns thematisch bewegt, schöne Texte haben wir verteilt, viele Anregungen weitergegeben. Insofern gehörten wir zu dem Gesamtkonzept der Friedensarbeit.

Herbst: Wir waren Frauen in unterschiedlichen Situationen und Männer. Wir hatten kleine Kinder oder nicht. Wir waren ein Pool von Menschen, von Frauen, die versuchten mutig zu sein.

Bischoff: Wir sind eigenständiger geworden und ich denke gerade im Blick auf Demokratisierung haben wir einen großen Vorsprung bekommen. Ich hatte oft das Gefühl, dass jede einzelne nicht nur für die Gruppe da war, sondern auch immer noch ihr eigenes Leben hatte. Die waren außerdem noch engagiert, nicht nur in der Gruppe. Und das find ich auch wichtig.

Herbst: Ich durfte nicht zu meinen Eltern in den Westen fahren, meine drei Geschwister durften. Wir haben uns dann beschwert bei einem Anwalt. Und da hat ein Polizist zu mir gesagt, auf ihrer Karte steht Sicherheitsrisiko. Als wir dann nach der Wende die Akten angefordert haben, da war bei mir nur die Akte Frauen für den Frieden. Also auch wenn wir keine Märtyrer waren, hat es viel gekostet. Und wir sind auch bis heute noch befreundet und bis heute sind wir ganzen alten Ladies noch präsent.

Bischoff: Ja, das muss ich auch sagen. Diese Verbindung war tatsächlich etwas Leben Schaffendes und Prägendes.

Herbst: Wir waren immer ein Netzwerk von Frauen, auf die ich zurückkommen konnte, wenn wirklich schwierige Situationen waren. Immer seid ihr mir da eingefallen, das ist doch schön. Das ist doch nachhaltig. Und wir haben einander gebraucht.

Bischoff: Ich hatte aber das Gefühl, dass sich die Gruppe so 87/88 auflöste, in dem Sinne, dass sie zu unterschiedlichen Aktivitäten gingen. Da war nicht mehr die Gruppe das Eigentliche, das Verbindende, sondern die politische Situation.

Herbst: Wir haben dann alle unterschiedliche Sachen gemacht, aber wir haben alle auf die Wende hinzugearbeitet. Weißt du noch (zu W. Zachhuber), als wir eingeladen waren zu „40 Jahre DDR“, da haben wir uns noch vorher hier getroffen und abgesprochen – also Waltraut, ich und Christiane Zachen – die mutige Frau in der Jugendarbeit – waren eingeladen, weil die DDR nun einen Bürgerdialog mit uns führen wollte. Da hatten wir gerade den Olaf-Palme-Friedensmarsch mitgemacht und uns hier noch getroffen und uns gefragt: Was sagen wir denn jetzt? Wir können doch jetzt nicht der DDR gratulieren zum 40sten. Wir hatten im Grunde die Nase voll. Aber keine von uns wusste damals, dass sich die DDR auflösen wird. Das war ja überhaupt gar nicht in unserem Denken. Wir wollten Reisefreiheit, wir wollten Pressefreiheit.

 

Gekommen ist es dann doch anders als erwartet. Mit der Auflösung der DDR löste sich auch die Gruppe in kleinere Teile auf. Was jedoch keine der Frauen davon abhielt ihren Weg weiterzugehen.
Das ist eben so, wenn man sich einmal engagiert, engagiert man sich eigentlich immer.