Chronologie des Aufbruchs

Wege zur Freiheit – Wo Magdeburg auf die Straße ging

Autorin: Antonia Baewert

Auch in Magdeburg sind im Herbst 1989 Zehntausende Menschen auf die Straße gegangen, um für gesellschaftliche und politische Veränderungen in der DDR zu demonstrieren. Der massive gemeinschaftliche und gewaltlose Protest gegen das SED-Regime formierte sich zunächst maßgeblich bei den Montagsgebeten im Magdeburger Dom. Die evangelische Kirche in Magdeburg war nicht nur selbst treibende Kraft, sie bot einmal mehr den Raum für die Auseinandersetzung und den Widerstand. Nach den Friedensgebeten für die Ausreisewilligen bildeten die „Gebete für gesellschaftliche Erneuerung“ montagabends im Dom seit Mitte September 1989 das zentrale Gesprächsforum für offene Diskussionen, hier konnten die neuen Bürgerinitiativen informieren. Mehrere Tausend Menschen nahmen an den Predigten mit anschließenden Dialogen über Missstände im Staat teil und äußerten ihre Wünsche und Meinungen zur derzeitigen Situation an den offenen Mikrofonen im Dom. In den folgenden Wochen verstärkten Kulturschaffende und die sich neu formierenden demokratischen Bürgerinitiativen und Oppositionsgruppen wie das Neue Forum oder der Demokratische Aufbruch mit weiteren Kundgebungen den Druck auf den Staat. Die folgende Übersicht dokumentiert erstmals sämtliche Routen der Kundgebungen und Demonstrationen in Magdeburg. Der damalige Domprediger Giselher Quast hat sie für das Projekt „Magdeburg 1989“ zusammengestellt, die Beschreibungen über Akteure, Forderungen und Verlauf der Proteste verfasste Antonia Baewert.

Datum Aufrufende Route (Straßennamen 1989) Teilnehmerzahl Beschreibung
23.10.1989 Beratergruppe Dom Dom - Karl-Marx-Straße - Wilhelm-Pieck-Allee - Danzstraße - Dom ca. 30.000 bis 40.000 Beim „Gebet für Gesellschaftliche Erneuerung“ am 23. Oktober 1989 ruft Domprediger Giselher Quast dazu auf, die Demonstration als Schweigemarsch zu gestalten. Nach dem Gebet vereinen sich 30.000 bis 40.000 Teilnehmer auf dem Innenstadtring. Sie hoffen auf die Weiterführung des begonnenen Dialogs zu grundsätzlichen Problemen und fordern die Zulassung demokratischer Bürgerinitiativen, freie und geheime Wahlen sowie die Freilassung inhaftierter Mitbürger.
30.10.1989 Beratergruppe Dom Dom - Karl-Marx-Straße - Boleslaw-Bierut-Platz - Jakobstraße - Johanniskirche ca. 24.000 Im Anschluss an das Montagsgebet am 30. Oktober 1989 im Dom nehmen rund 24.000 Bürger an einem Schweigemarsch durch die Innenstadt teil. Sie verlangen unter anderem die Anerkennung des zivilen Wehrersatzdienstes und des Neuen Forums.
04.11.1989 Künstler und Kulturschaffende; Tageskundgebung Kundgebung Domplatz anschl. Demonstration zur Karl-Marx-Straße Ziel: Haus der Lehrer ca. 40.000 Am 4. November 1989 wird der Domplatz zu einem politischen Forum. 40.000 Menschen nehmen an den Debatten um einen erneuerten Sozialismus, aufgerufen von den Künstlern und Kulturschaffenden Magdeburgs, teil. Mehrere Beteiligte äußern ihr Unverständnis gegenüber Oberbürgermeister Werner Herzig, der in den Wochen zuvor nur bedingt das Gespräch mit den Magdeburgern gesucht hatte. Nach der Kundgebung ziehen die Demonstranten weiter bis zum Haus der Lehrer (heute: Katharinenturm).
06.11.1989 Beratergruppe Dom Dom - Karl-Marx-Straße - Alter Markt ca. 60.000 Beim Bürgerforum am 6. November 1989 vor dem Rathaus auf dem Alten Markt müssen sich Vertreter der Stadt in einem offenen Dialog den Fragen der Bevölkerung stellen. Forderungen wie der freiwillige Verzicht der SED auf den Führungsanspruch, demokratische Wahlen, die Auflösung der Kampfgruppen und eine unabhängige Kontrolle der Staatssicherheit standen unter anderem im Fokus der Diskussion. Es nehmen circa 60.000 Menschen an dem Forum teil.
13.11.1989 Beratergruppe Dom Kundgebung Domplatz ca. 20.000 Vier Tage nach dem Fall der Mauer ruft Dompredigerin Waltraut Zachhuber beim Montagsgebet dazu auf, Freiheit im eigenen Land zu leben. Bei der anschließenden Kundgebung stellen sich Parteifunktionäre der SED den drängenden Fragen der Bevölkerung. Mitbegründer des Neuen Forums, Hans-Jochen Tschiche, fordert die vollständige Transparenz über die Situation in Wirtschaft und Staat und den Umbau der Gesellschaft. An der dreistündigen Kundgebung nehmen circa 20.000 Menschen teil.
20.11.1989 Beratergruppe Dom Dom - Gouvernementsberg - Schleinufer - Walther-Rathenau-Straße - Boleslaw-Bierut-Platz ca. 30.000 Am 20. November 1989 verlangen Demokratischer Aufbruch, Neues Forum und Beratergruppe Dom in Magdeburg die Aufarbeitung aller gesetzwidrigen Aktivitäten und die Offenlegung der Strukturen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Rund 30.000 Demonstranten ziehen anschließend vom Domplatz vor das Amt für Nationale Sicherheit (ehemals MfS) in die Walther-Rathenau-Straße. Als Symbol des Heimleuchtens werden Kerzen auf den Mauern um das Gebäude herum aufgestellt, oben schwingt eine Laterne. Der Schweigemarsch wird am Boleslaw-Bierut-Platz beendet.
27.11.1989 Beratergruppe Dom geplantes Ziel: Redaktions­gebäude der „Volksstim­me“ Bahnhofstraße - Ursprünglich ist für den 27. November 1989 eine Demonstration zum Gebäude der „Volksstimme“, der Tageszeitung der SED in Magdeburg, angedacht, um für das Recht auf Presse- und Medienvielfalt einzutreten. Die Beratergruppe Dom beschließt jedoch, die geplante Demonstration zugunsten der Tageskundgebung und -demonstration der neuen Initiativen am 2. Dezember 1989 abzusagen und stattdessen für eine Aussprache zu nutzen.
02.12.1989 Neue Initiativen (Neues Forum, SDP, Demokratischer Aufbruch, Demokratie jetzt); Tageskundgebung und -demonstration Domplatz - Karl-Marx-Straße - Wilhelm-Pieck-Allee - Damaschkeplatz - Goethestraße - Gerhard-Hauptmann-Straße; Ziel: Bezirksbehörde der SED 20.000 Der Mitbegründer des Neuen Forums, Hans-Jochen Tschiche, ruft am 2. Dezember 1989 im Namen der Bürgerinitiativen auf dem Domplatz zu politischen Warnstreiks in den Betrieben auf. Anschließend zieht eine Demonstrationsgruppe im Protestmarsch zum Gebäude des Rates des Bezirks. Sie verlangen, dass sich die SED aus den Betrieben zurückzieht.
04.12.1989 Beratergruppe Dom Dom - Karl-Marx-Straße - Hasselbachplatz - Otto-von-Guericke-Straße - Danzstraße - Domplatz >20.000 Nach den Andachten im Dom und der katholischen Kirche St. Sebastian am 4. Dezember 1989 formiert sich ein Demonstrationszug, dem sich Zehntausende Menschen anschließen.
11.12.1989 Beratergruppe Dom (letzter Demonstrationsaufruf) Dom - Karl-Marx-Straße - Hasselbachplatz - Otto-von-Guericke-Straße - Wilhelm-Pieck-Allee - Karl-Marx-Straße - Domplatz >20.000 Am 11. Dezember 1989 schließen sich nach dem Montagsgebet Zehntausende Magdeburger zur Kundgebung zusammen, um für die vollständige Auflösung der Staatssicherheit, für die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen und für die Humanisierung des Strafvollzugs zu demonstrieren.
19.12.1989 Regionalvorstand SDP Kundgebung mit Willy Brandt und Markus Meckel auf dem Domplatz >20.000 Altbundeskanzler Willy Brandt, Ehrenvorsitzender der SPD, und Markus Meckel, Mitbegründer der SDP, sprechen bei einer Kundgebung des SPD-Regionalvorstands auf dem Domplatz in Magdeburg.
08.1.1990 Spontandemonstration nach dem Montags­gebet St. Sebastianskirche - Bahnhofstraße Ziel: Redaktions­gebäude der „Volksstim­me“ 200-300 Die wachsende Beunruhigung über die weiterhin führende Rolle der SED in den Medien sowie in betrieblichen und staatlichen Bereichen beschäftigt die Teilnehmenden des Montagsgebets am 8. Januar 1990. Dompredigerin Waltraut Zachhuber ermutigt die Teilnehmer, jeder Form der alten Diktatur entgegenzutreten. Beim anschließenden politischen Forum „Das Wiedererstarken der SED im Spiegel der Medien“ steht die Volksstimme im Visier der Demonstranten. Sie fordern, dass die Volksstimme zu einer „echten Stimme des ganzen Volkes werden muß“.
14.1.1990 Neue Initiativen Kundgebung Domplatz anschl. Demonstration zur Gerhard-Hauptmann-Str.; Ziel: Bezirksbehörde der SED-PDS >20.000 Dem gemeinsamen Aufruf oppositioneller Parteien und Bewegungen zu einer Demonstration auf dem Magdeburger Domplatz am 14. Januar 1990 folgen Zehntausende Menschen. Vertreter der SPD in der DDR, des Neuen Forums, von Demokratie Jetzt und des demokratischen Aufbruchs fordern, die Rückkehr der SED an die Macht zu verhindern. Im Anschluss an die Kundgebung formiert sich ein Demonstrationszug zum Thälmannhaus des Bezirksvorstandes der SED-PDS.
15.1.1990 Neue Initiativen Demonstrationsroute unbekannt >10.000 Die Demonstration am 15. Januar 1990 stand unter dem Thema: „Sicherheit nur durch Demokratie“. Die Neuen Initiativen sprechen sich gegen einen neuen Verfassungsschutz aus alten Stasi-Beständen vor den Wahlen aus, sie forderten eine gesetzliche Regelung der Auflösung des Staatssicherheit-Apparats und die Aufdeckung der organisierten Verbindung und Verfilzung von SED und Stasi.
22.1.1990 Neue Initiativen Dom - Danzstraße - Otto-von-Guericke-Straße - Wilhelm-Pieck-Allee - Karl-Marx-Straße - Dom Nicht bekannt Die Rufe nach Demokratie und demokratischen Strukturen werden immer lauter. Bei der Demonstration nach dem Montagsgebet am 22. Januar 1990 fordern die Bürgerbewegungen die Auflösung der SED-PDS.
1.2.1990 Landesfrauenklinik/ Gesundheitswesen Kundgebung Alter Markt >100 „Gerechtigkeit für alle Mitarbeiter im Gesundheitswesen“, das verlangen mehrere Hundert Mitarbeiter des Gesundheitswesens auf dem Alten Markt am 1. Februar 1990. Zu der Kundgebung aufgerufen hatten die Frauenklinik der Medizinischen Akademie sowie die Landesfrauenklinik.
6.3.1990 CDU Wahlkundgebung mit Helmut Kohl auf dem Domplatz 60.000 Das Wahlkampfbündnis „Allianz für Deutschland“, bestehend aus der Bürgerbewegung Demokratischer Aufbruch, der Deutschen Sozialen Union und der Christlich Demokratischen Union, werben bei der Wahlkundgebung am 6. März für eine Wiedervereinigung. Bundeskanzler Helmut Kohl und die Vorsitzenden der Bürgerbewegungen auf der Kundgebung entwerfen Szenarien für die Zukunft der ostdeutschen Bevölkerung. Die Kundgebung wurde durch den Lärm der Gegendemonstranten und durch Eierwürfe mehrmals gestört.

Autorin: Jana Witte

1988
Januar 1

seit Januar 88 – Friedensgebete jeden Donnerstag für Ausreisewillige

Magdeburg: Seit Januar 1988 nehmen auch immer mehr Ausreisewillige Magdeburgs an den Friedensgebeten im Dom in Magdeburg teil. Die Gebete vor dem Antikriegsdenkmal von Ernst Barlach im nördlichen Querhaus im Dom werden zu einem wichtigen Ort für Kontakte und Austausch. Im September 89 entscheidet der Kirchengemeinderat, dass es eines weiteren Forums zur Diskussion bedarf. Ab 18.9. veranstaltet die Kirche zu den Donnerstagsgebeten nun die Montagsgebete für „gesellschaftliche Erneuerung“, geleitet von Dompredigerin Waltraut Zachhuber und Domprediger Giselher Quast.
1989
September 9

9. / 10. September 89 – Gründung „Neues Forum“

DDR / Magdeburg: Am 9. September 89 gründet sich die Bürgerbewegung „Neues Forum“ als erste offizielle Oppositionsbewegung in Berlin, sie veröffentlicht den Aufruf „Die Zeit ist reif – Aufbruch 89“. Zu den Erstunterzeichnern gehört auch Hans-Jochen Tschiche, Bürgerrechtler und Direktor der Evangelischen Akademie Magdeburg, später Mitglied des Runden Tischs und von Bündnis 90/Die Grünen. Das „Neue Forum“ erhält auch in Magdeburg breite Unterstützung.
September 18

18. September 89 – Das erste Montagsgebet

Magdeburg: Im Magdeburger Dom wird von nun an montags um 19 Uhr das „Gebet für gesellschaftliche Erneuerung in der DDR“ abgehalten. Vor 150 Menschen eröffnet Dompredigerin Waltraut Zachhuber mit den Worten „Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten“ das Gebet und ruft zur Diskussion über gesellschaftliche Veränderung auf. Aufrufe, Briefe und Resolutionen oppositioneller Gruppen werden verlesen und im Dom ausgestellt.
Oktober 5

5. Oktober 89 – Reiseverkehr wird ausgesetzt

DDR: In der gesamten DDR wird der pass- und visafreie Reiseverkehr mit der Tschechoslowakei zeitweilig ausgesetzt. Damit sind die Grenzen zum Nachbarland endgültig geschlossen. Der DDR-Staat bekommt jedoch erstmals sichtbare Risse. Die Botschaft der BRD in Prag hingegen muss wegen Überfüllung durch die Ausgereisten geschlossen werden.
Oktober 7

7. / 8. Oktober 89 – Volksfest 40. Jahrestag der DDR

DDR / Magdeburg: Zwischen Altem Markt und Elbufer finden an diesem Wochenende Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR statt. Es wird ein großes Programm aufgefahren, darunter Programme zur Kinderunterhaltung, ein Abschlussfeuerwerk und natürlich Musik. Der Höhepunkt am Sonntag ist eine große Oldtimerveranstaltung des ADMV (Allgemeiner Deutscher Motorsport Verband). Es tauchen allerdings hinterher Berichte auf, dass Sicherheitskräfte dort Bürger und Bürgerinnen menschenrechtsverletzend angegangen seien.
Oktober 9

9. Oktober 89 – Wendepunkt Schießbefehl/Montagsgebet

Magdeburg: Durch Ansagen in Betrieben und Gerüchte sind die Domprediger alarmiert: Es wurde der Schießbefehl ausgerufen. Zachhuber und Quast rufen in ihrer Ansprache beim heutigen Montagsgebet dazu auf, sich nach der Veranstaltung friedlich nach draußen zu begeben und den Sicherheitskräften keinen Grund zur Gewalt zu geben. Die Lichter in der Stadt werden ausgeschaltet. Vor dem Dom stehen also 4500 Menschen einer im Dunkeln verborgenen Armee aus 20.000 Sicherheitskräften gegenüber. Dennoch bleibt es friedlich.
Oktober 23

23. Oktober 89 – Schleusen öffnen sich für Protest

Magdeburg: Nach dem heutigen Montagsgebet erscheinen 10.000 Teilnehmer zur ersten Großdemonstration auf dem Innenstadtring. Am selben Abend verteilt der Handwerker Bernd Ebert das Grüne Band als Symbol der Hoffnung auf Erneuerung im Dom. Die Demonstranten laufen eine 2,5 Kilometer lange Strecke durch die Innenstadt, anschließend wird ein Nachtgebet abgehalten, bei dem noch 800 Hoffnungsvolle anwesend sind. Nun ist auch die Presse zur Berichterstattung gezwungen.
Oktober 30

30. Oktober 89 – Montagsgebet

Magdeburg: Die Revolution ist auf dem Höhepunkt. Das Motto des Gebets lautet „Lieber gleich reformieren statt tapezieren“. Es kommen 15.000 Menschen in den Dom, manche sprechen sogar von bis zu 24.000. Wieder gehen sie danach auf die Straße, fordern Wehrersatzdienst und die Anerkennung des Neuen Forums. Nach einem öffentlichen Gespräch mit OB Werner Herzig steht dieser unter Druck.
November 4

4. November 89 – Großkundgebung der Kulturschaffenden

Magdeburg: Auf dem Domplatz findet eine Großkundgebung der Kulturschaffenden mit bis zu 50.000 Teilnehmern statt. Werner Herzig wird in seiner Ansprache gnadenlos ausgepfiffen. Dem Oberbürgermeister wird von den Bürgern nahegelegt, dass er die Vertrauensfrage stellen solle. Am 8. November tritt er schließlich zurück. Nach der Kundgebung zieht ein Demonstrationszug friedlich durch die Innenstadt.
November 6

6. November 89 – Bürgerforum auf dem Alten Markt

Magdeburg: Auf dem Alten Markt wird ein Bürgerforum ausgerichtet. Die Teilnehmerzahlen werden auf 50.000 bis 80.000 geschätzt. Vertreter der Stadt müssen sich in einem offenen Dialog den Fragen zur Kirche, den Blockparteien und dem Neuen Forum stellen. Die Opposition wird regelmäßig von Zwischenrufen unterbrochen, die Bürgerrechtsbewegung hingegen will sich von der Kirche lösen und als eigenständiger Akteur wahrgenommen werden.
November 9

9. November 89 – Grenzöffnung

DDR: Nach den Demonstrationen tut sich etwas: Die Grenze wird geöffnet. Da viele Magdeburger es nicht glauben können, fahren sie nach Marienborn, um sich von der Reiseerleichterung zu überzeugen. Die Parole „Wir sind ein Volk“ ersetzt „Wir sind das Volk“. Am Folgetag machen viele Menschen Tagesausflüge in den Westen nach Helmstedt.
November 13

13. November 89 – Erstes Montagsgebet nach Mauerfall

Magdeburg: Das erste Montagsgebet nach dem Mauerfall findet noch mit 10.000 Teilnehmern statt. Die Zahl soll bei den nächsten Veranstaltungen noch erheblich zurückgehen. Die Grenzöffnung und politische Veränderungen sind das Hauptthema. Amnestierte politische Gefangene berichten über die physische und psychische Folter in den DDR-Gefängnissen.
November 20

20. November 89 – Schweigemarsch zum MfS

Magdeburg: Nach dem Montagsgebet ziehen Tausende Teilnehmer in einem Schweigemarsch vom Dom in die Walter-Rathenau-Straße vor das Amt für Nationale Sicherheit. Sie fordern die Offenlegung der Strukturen des Ministeriums für Staatssicherheit und die Herausgabe der Akten. Als Symbol des Heimleuchtens werden Kerzen auf den Mauern um das Gebäude herum aufgestellt, oben schwingt ein Teilnehmer eine Laterne.
Dezember 2

2. Dezember 89 – Protestmarsch zum Rat des Bezirks

Magdeburg: Der Bürgerrechtler Hans-Jochen Tschiche ruft im Namen der Bürgerinitiativen auf dem Domplatz zu politischen Warnstreiks in den Betrieben auf. Anschließend ziehen Demonstranten im Protestmarsch zum Gebäude des Rates des Bezirks. Sie fordern, dass sich die SED aus den Betrieben zurückzieht.
Dezember 4

4. Dezember 89 – Gründung des „Runden Tisches“ beschlossen

Magdeburg: Neues Forum, Demokratie Jetzt, Demokratischer Aufbruch, Sozialdemokratische Partei, die Initiative für Frieden und Menschenrechte und der Rat der Stadt beschließen, einen eigenen „Runden Tisch“ für die Stadt Magdeburg einzurichten. Die konstituierende Sitzung findet am 19. Dezember im Rathaus statt.
Dezember 5

5. Dezember 89 – Gründung des Bürgerkomitees und Sicherung der Stasi-Akten

Magdeburg: Das Bürgerkomitee konstituiert sich, um die Aufarbeitung der Stasi-Akten zu kontrollieren. Außerdem versiegelt ein Beauftragter des Staatsanwalts in Anwesenheit des Neues Forums das Archiv der ehemaligen Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) am Kroatenweg, um Beweismaterial sicherzustellen. Es gibt aber Hinweise darauf, dass bereits Dokumente weggeschafft und vernichtet worden sein sollen.
Dezember 6

6. Dezember 89 – Beratergruppe Dom organisiert Wahl-Infoveranstaltungen

Magdeburg: Die Beratergruppe Dom ruft eine Veranstaltungsreihe ins Leben, die präventiv gegen Unmut zu den Wahlen informieren soll. Von nun an bekommen die Magdeburger außerdem auch Informationen über die neu gebildete freie Presse, „Die Andere Zeitung“ und die „Halle Magdeburger“.
Dezember 19

19. Dezember 89 – Erste offizielle Sitzung Runder Tisch

Magdeburg: Dem Vorbild des Zentralen Runden Tisches in Ost-Berlin folgend bilden Vertreter verschiedener politischer Initativen einen Runden Tisch in Magdeburg, um die Führung der Stadt vorübergehend zu übernehmen. Die drängenden praktischen Fragen der Stadtverwaltung, der Umgang mit der Stasi und die Vorbereitung demokratischer Wahlen sind die großen Herausforderungen dieser Umbruchszeit. Am 29.05.1990 beendet der Runde Tisch seine Arbeit.
1990
Januar 14

14. Januar 90 – Oppositionelle Parteien und Bewegungen demonstrieren gegen SED-PDS

Magdeburg: Oppositionelle Parteien und Bewegungen mobilisieren Zehntausende Magdeburger weiter zu protestieren. Hans-Jochen Tschiche fordert die SED auf, auf eine zukünftige Regierungsbeteiligung zu verzichten.
März 18

18. März 90 – Letzte Volkskammerwahl der DDR

DDR: Statt im Mai finden die letzten Volkskammerwahlen der DDR schon am 18. März statt. Es sind die einzigen in der DDR, die unter demokratischen Bedingungen abgehalten werden. Vorgezogen wurden sie, weil sich die Ereignisse nach dem Mauerfall überschlugen und eine legitime und handlungsfähige Regierung unabdingbar war.
Mai 6

6. Mai 90 – Erste freie Kommunalwahlen in Magdeburg

Magdeburg: Die Magdeburger können heute zum ersten Mal frei aus 14 Wählerbündnissen wählen. Zeitgenossen sprechen von einem „Regenbogen“ in der Kommunalvertretung. Diese Wählerbündnisse sind zum Teil Feuerwehren, Sportvereine und auch kirchliche Gemeinden. Nur wenige der neuen Räte haben politische Erfahrung. Stadtratsvorsitzender wird Konrad Mieth von der SPD. Ein Jahr nach dem Wahlbetrug bei den Kommunalwahlen in der DDR hat nach dem Land nun auch die Stadt Magdeburg eine demokratisch gewählte Vertretung. Der Runde Tisch, der den Übergang vorbereitet und gestützt hat, tagt am 29. Mai 1990 zum letzten Mal. Am 30. Mai konstituiert sich das neue Stadtparlament.
Oktober 3

3. Oktober 90 – Teilung Deutschlands beendet

DDR / BRD: Um Mitternacht wird die Teilung Deutschlands beendet. „Der Tag der Deutschen Einheit“ wird bundesweit gefeiert.