Tien Duc Nguyen – Vietnam
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Geprägt von der sozialistischen Staatsidee zog der Vietnamese im September 1977 für eine neue Zukunft in die DDR nach Magdeburg. Er lernte zunächst die deutsche Sprache, schloss eine Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenmonteur ab und studierte Ingenieurspädagogik.
„Am Anfang war alles für mich fremd. Ich war aber neugierig und wollte die Deutschen kennenlernen.“
Durch seine hilfsbereite und offene Art kam er schnell in Kontakt mit neuen Menschen und knüpfte Freundschaften zu Deutschen. Während sie friedlich im Herbst 1989 auf die Straße gingen, passte Nguyen auf ihre Kinder auf. „Welche große Bedeutung die Demonstrationen für die DDR hatten, war mir und vielen anderen Vietnamesen nicht klar.“
Tien Duc Nguyen lässt die Zeit vor der Wende Revue passieren. Immer wieder kommt er auf Probleme zu sprechen, wie die Warenknappheit, Anfeindungen gegen ihn und seine Landsleute. Er wird leiser, während er über diese Themen spricht, flüstert fast schon. Es folgt eine kurze Pause im Gespräch, bevor er anfängt, begeistert von der Wiedervereinigung zu erzählen: „Das war eine bewegende Zeit, wie ein Traum, dass man das so erlebt hat.“ Für Nguyen überwog die Freude.
„Wir glaubten, es kann doch nur besser werden, und haben auf Änderungen gehofft. Wir dachten, was im Westen ist, glänzt alles so schön."
Autoren: Vivien Christoph und Robert Komnick
Tien Duc Nguyen aus Vietnam erlebte die Friedliche Revolution in Magdeburg hautnah – und doch war er damals Außenseiter. Als junger Migrant eingereist, stieß er auf viel Schwierigkeiten in der ihm so fremden DDR. Heute ist er eine wichtige Stimme für Migranten in Sachsen-Anhalt.
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Buckau – ein buntes Viertel im Süden Magdeburgs. Bars, Kunst und Graffiti. Zwischen der katholischen Kirche St. Norbert und einer Sporthalle steht das rote Backsteingebäude der Caritas. Tien Duc Nguyen sitzt an seinem Schreibtisch im zweiten Stock des Gebäudes. Er erinnert sich an die Friedliche Revolution in Magdeburg – und an sein Herkunftsland. Dass er heute vielseitig sozial engagiert ist, hat seinen Ursprung zum Großteil in der Wendezeit.
Ein Rückblick: Nguyen wächst im Norden Vietnams auf. Erzogen nach dem sozialistischen Ideal, wird ihm schon in der Schule ein Bild der DDR vermittelt: „Es hieß, die DDR ist ein Paradies. Die sind viel weiter als wir. Da ist alles so sauber und ordentlich. Das sind unsere Vorbilder“, beschreibt Nguyen. Wie das geteilte Deutschland wurde später auch seine Heimat zum Schauplatz des Ost-West-Konflikts: Während in Europa der Kalte Krieg tobte, kämpfte er für das kommunistische Regime in Vietnam gegen die US-Amerikaner.
Tien Duc Nguyen engagiert sich heute
in vielen Organisationen für die
Belange von Migranten.
© Privat
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Er schüttelt den Kopf und lacht. Durch die Wiedervereinigung war er dazu gezwungen, sein weiteres Berufsleben zu überdenken und den richtigen Weg neu zu finden.
„An die spätere Arbeitslosigkeit haben wir noch gar nicht gedacht“, erzählt Nguyen.
Die meisten Vietnamesen wurden nach Schließungen der Betriebe in Magdeburg arbeitslos, so wie Nguyen auch. „Nichts und niemand gab Orientierung in all den Wirren“, erzählt er. Viele Vietnamesen seien in ihre Heimat zurückgekehrt, die anderen haben sich bei Behördengängen gegenseitig unterstützt. Nguyen Tien Duc war in seiner damaligen Situation Ansprechpartner für hilfesuchende Landsleute. Durch seine Sprachkenntnisse hat er für sie übersetzt, bei der Wohnungssuche geholfen und für ihre Rechte gekämpft.
„Soziale Arbeit hat es in dieser Form in der DDR nicht gegeben. Ich habe gemerkt, dass das notwendig ist. Zufällig
habe ich den Verband der Caritas nach der Wiedervereinigung kennengelernt, der zu dieser Zeit Unterstützung benötigte.“
Aus seinem Engagement während der Zeit nach dem Mauerfall machte Tien Duc Nguyen seinen Beruf. „Durch die Wende und meine ehrenamtliche Tätigkeit habe ich viel gelernt und wusste gar nicht, dass ich damit später Geld verdienen würde“, sagt Nguyen Tien Duc. Neben seiner Arbeit als Sozialpädagoge engagiert er sich heute für die Belange von Migranten.
Er ist Vorsitzender des Landesnetzwerks der Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt, sowie stellvertretender Leiter des Vereins refugium. Dort hilft er Migranten beim Erlernen der deutschen Sprache und bei der Ausbildungs- und Arbeitsplatzsuche.
„Wenn ich damals zu Hause geblieben wäre und nichts getan hätte, wäre ich heute auch nicht hier.“
Nguyen (rechts im Bild)
kam 1977 nach Magdeburg und arbeitete zunächst als Maschinen-
und Anlagenmonteur in einem Maschinenbaubetrieb.
© Privat