Autorin: Friederike Steemann / Videos: Fabian Benecke
In der DDR konnten die Menschen nicht frei heraus sagen, was sie denken. Wer sich kritisch gegenüber der Regierung äußerte, der musste mit Konsequenzen rechnen. Kabarettisten im ganzen Land wollten trotzdem sagen, was sie – und ein Großteil der Bevölkerung – dachten. Einer von ihnen war der Magdeburger Frank Hengstmann, der sich an den Berufsalltag der DDR-Kabarettisten, ihre Tricks das Verbotene auszusprechen und den Herbst 1989 erinnert.
Im Herbst 1989 schrieb Frank Hengstmann ein Stück, das er die „Wende-Hymne“ nannte. 30 Jahre später trägt er es noch einmal vor.
„In der DDR wusste der Kabarettist genau, was er sagen kann und was nicht“, sagt Frank Hengstmann. Wer eine ästhetische Grenze überschritt, der bekam sofort ein Auftrittsverbot. Dennoch war es zu DDR-Zeiten leichter Kabarett zu machen, findet der Magdeburger. „Das Publikum dachte das Unausgesprochene selbst zu Ende, es konnte zwischen den Zeilen lesen. Dadurch entstand die eigentliche Komik.“ Frank Hengstmann stand schon im Alter von fünf Jahren als Gründungsmitglied des ersten Kinderkabaretts Die Kritiküsschen auf der Bühne. Aus seiner Zeit als freiberuflicher Solokabarettist in der DDR weiß er noch genau, wie ernst die Lage für die Künstler war: „Man durfte auf keinen Fall etwas gegen die führende Rolle der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands sagen – da gab es richtig Ärger“, erinnert er sich. „Ich hatte auch ein paar Mal richtig Ärger, weil ich das leicht probiert habe.“
Freiheraus sagen, was sie dachten, konnten die Kabarettisten also nicht. Von einzelnen Worten bis zum ganzen Programm: Alles konnte von den SED Stadt- und Bezirksleitungen beanstandet werden. Das Regime der DDR sah im Kabarett aber eine Ventilfunktion. Nachdem das Ministerium für Kultur beschlossen hatte, dass jeder Bezirk ein Berufskabarett haben sollte, wurden 1977 in Magdeburg Die Kugelblitze gegründet. Noch im selben Jahr feierte das erste Stück des neuen Ensembles im Kristallpalast an der Leipziger Straße Premiere. 1986 bekamen Die Kugelblitze dann ein neues Domizil an der Ecke Breiter Weg/ Leiterstraße – im einzigen Kabarett-Neubau der gesamten DDR. Heute befindet sich dort eine Bankfiliale.
Vor der öffentlichen Aufführung wurden die Programme von Funktionären der SED abgenommen. „1980 gab es in der DDR eine furchtbare Kaffee-Knappheit“, erinnert sich Frank Hengstmann. „Das ging so weit, dass Orchester die „Kaffeekantate“ nicht mehr spielen durften, weil die Leute sofort eine Assoziation hatten ‚Toll, die spielen die Kaffeekantate, und es gibt nichts‘.“ Dies sollte mit dem Verbot vermieden werden. Auch wurde die Premiere zweier Stücke der Kugelblitze nach Vorabkontrollen von der Bezirksleitung Magdeburg verboten: Im Jahr 1980 „Ach du meine Güter“ und 1988 „Der Fortschritt ist hinter uns her“.
Wie Kabarettisten ihre Kritik am System verpackten
Daher überlegten die Autoren schon vor der Abnahme, welche Formulierungen für die Staatsvertreter zumutbar waren und nicht beanstandet werden würden. Die Kabarettisten wurden kreativ, ihre Vorwürfe ans System – etwa zur Innenpolitik oder Personenkult – so zu verpacken, dass die Vertreter der SED sie nicht entlarvten und ihr Publikum lernte, aus Andeutungen und Wortspielen die verdeckte Kritik zu verstehen. So berichtet Hans Günther Pölitz, der 1984 als künstlerischer Leiter zum Amateurkabarett Zange nach Magdeburg kam, etwa davon, dass die in einem Satz aufeinanderfolgenden Worte ›Er‹ und ›ich‹ dazu genutzt wurden, um „Erich“ zu sagen.
Die Kabarettisten der DDR bekamen Anerkennung, weil sie sich trauten auszusprechen, was die Bevölkerung bewegte, aber nie offen kritisiert werden durfte. Trotz oder eben gerade wegen dieser Einschränkung, schafften sie in Magdeburg mit ihren Programmen ein wohl einzigartiges Stück Kultur, das bis heute lebendig gehalten wird: Im Nordabschnitt des Breiten Wegs leitet Frank Hengstmann mit seinen Söhnen das …nach Hengstmanns. Und Die Kugelblitze feierten erst 2017 ihr 40-jähriges Bestehen.